Logo ausblenden

Mediengeschichte und Erinnerungskultur


Die Digitalisierung ist eine noch relativ junge technologische Revolution, die, weil sie in großem Maße Kommunikations- und Informationsstrukturen betrifft, als Medienwandel verstanden und beschrieben werden kann. Ganz zu Recht hat sich die Medienwissenschaft daher in den letzten Jahren für die Gegenwart dieses Wandels und für seine möglichen Folgen in der Zukunft interessiert.

Die Digitalisierung ist aber auch eine Herausforderung für die historisch orientierte Medienwissenschaft, und zwar aus mehreren Gründen:
1. Weil ein Blick in die Mediengeschichte Neuheitsvermutungen grundsätzlich relativieren und gleichzeitig Erklärungsansätze für die neuen medialen Konstellationen anbieten kann, die ohne das historische Relief unsichtbar bleiben müssen. Medienarchäologische Ansätze, die einer teleologischen Medienentwicklung entsagen und ins Leere laufende Stränge untersuchen sowie von technischen Entwicklungen unabhängige mediale Ontologien aufstellen, helfen bei einer Re-Evaluierung der aktuellen Geschehnisse.
2. Weil die Digitalisierung durch ihre Überbetonung der Gleichzeitigkeit von Handlungen bzw. der Unmittelbarkeit von Aktion und Reaktion sowie durch ihr Zelebrieren von Kürze und Schnelligkeit das Präsentische so sehr in den Fokus rückt, dass sich die Frage stellt, wie Geschichtsschreibung als eher gründliche, epische, langwierige, konsekutive Handlung in Zukunft betrieben und vermittelt werden soll. Zu überlegen ist hier auch, ob solche historischen Praxen neben traditionellen analytischen und systematischen Verfahren auch audiovisuelle und künstlerische Mitteln stärker integrieren müssen.
3. Auch die Grundlagen von Geschichtsschreibung stehen durch die Digitalisierung auf dem Prüfstand, und zwar sowohl in Hinblick auf die langfristige Sicherung historischer Quellen, die nur in Form von Digitalisaten vorliegen, als auch in Hinblick auf den Zugriff auf historische Quellen (z.B. durch Digitalisierung analoger Dokumente und deren Verfügbarmachung über das Internet) und die damit verbundenen veränderten Möglichkeiten von Kritik und Kanonisierung.

Aus dieser Diagnose folgt die Feststellung, dass die Erinnerungskultur unserer Gesellschaft auf den Prüfstand gestellt werden muss, da sich wesentliche Parameter für ihr Funktionieren bereits verändert haben oder in Kürze verändern werden. Zudem ist die Rolle der (modernen) Medien bislang in der Diskussion um das kulturelle Gedächtnis kaum berücksichtigt worden. Hinzu kommt, dass die Beschäftigung mit der Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts ganz andere mediale Kompetenzen erfordert, als sie bislang von Historikern erwartet wurden.