24. Januar 19
Ort
Filmmuseum Potsdam
Breite Str. 1A
14467 Potsdam
Wie der Golem in die Welt zurückkam – Einblicke in die Restaurierung eines Stummfilmklassikers
Nach der Veranstaltung rund um den Film DAS CABINET DES DR. CALIGARI im Februar 2018 widmet sich der Studiengang Filmkulturerbe der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF im Wintersemester 2018/19 einem weiteren kanonischen Werk der deutschen Filmgeschichte, das dank neuer Forschungserkenntnisse und aktueller Restaurierungsarbeiten in einem anderen Licht gesehen werden kann. Diesmal geht es um DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM.
Paul Wegeners Stummfilmklassiker aus dem Jahr 1920 handelt von der alt-jüdischen Legende einer aus Lehm geschaffenen menschenähnlichen Riesengestalt. Im mittelalterlichen Prager Ghetto wird dieser Riese, genannt „der Golem“, von Rabbi Löw mit Hilfe der dunklen Mächte zum Leben erweckt, um sein Volk vor einem prophezeiten Unheil zu schützen. Jedoch verliert der Rabbi die Kontrolle über sein Geschöpf und der Golem läuft im Ghetto Amok.
Für DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM bediente sich der Schauspieler und Regisseur Wegener der Golem-Geschichte bereits zum dritten Mal als Film-Vorlage. Jedoch ist Wegeners erster GOLEM-Film (1914/15) nur in Fragmenten überliefert und der verschollene zweite Film, die Komödie DER GOLEM UND DIE TÄNZERIN (1917), lässt sich ausschließlich in Papier- und Fotodokumenten nachvollziehen. Seine dritte und letzte Verfilmung des Golem-Stoffes gilt wiederum als Meisterwerk des deutschen Stummfilms, dessen einflussreiche Bilder bis heute in der Filmgeschichte nachklingen. Prägend für den damaligen internationalen Erfolg des Films und seine kontinuierliche Anerkennung in Fach- und Laienkreisen sind vor allem die im expressionistischen Stil entworfenen Bauten von Hans Poelzig, die Gestaltung von Licht und Schatten durch den Kameramann Karl Freund sowie die ausdrucksstarken schauspielerischen Leistungen von Albert Steinrück, Ernst Deutsch und nicht zuletzt Wegener selbst, dessen Verkörperung der schwerfälligen Titelfigur durch zahllose Bezugnahmen, Imitationen und Parodien über fast hundert Jahre hinweg eine filmgeschichtliche Ikone begründete.
Vom Film DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM existiert heute kein Exemplar mehr, welches für die Intentionen der Schöpfer und die Seherfahrung eines zeitgenössischen deutschen Kinopublikums als repräsentativ gelten kann: die überlieferten Negative und Kopien entsprechen meist Versionen, die für den Verleih im Ausland bestimmt waren, sind fast ausnahmslos in bearbeiteter bzw. unvollständiger Form erhalten und besitzen zudem oft unzureichende Bildqualität.
Seit über vierzig Jahren bemüht sich das Filmmuseum München, dem Film seine ursprüngliche Gestalt durch editorische und restauratorische Maßnahmen angenähert wieder zu verleihen. Kontinuierlich wurden Verbesserungen erzielt, weil immer wieder bisher unbekannte Materialien entdeckt und neue Erkenntnisse gewonnen werden konnten sowie sich die technischen Möglichkeiten der Filmrestaurierung erweiterten.
In letzter Zeit hat das Filmmuseum in enger Zusammenarbeit mit dem Musikwissenschaftler, Komponisten und Pianisten Richard Siedhoff seine Arbeit an der Restaurierung von DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM fortgesetzt, dabei konnte erstmals auf die lang verschollen geglaubte und kürzlich von Siedhoff wiederentdeckte originale Begleitmusik zum Film von Hans Landsberger als wesentliche Quelle zurückgegriffen werden. Parallel zur Arbeit des Filmmuseums unternahm die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung 2018 eine eigene Restaurierung des Films auf Grundlage einer weiteren bislang nicht berücksichtigten Quelle, einem unvollständigen Originalnegativ, das in der Cinematek in Brüssel aufbewahrt wird. So ergibt sich die seltene Gelegenheit, zwei alternative restaurierte Fassungen des gleichen Films nach unterschiedlichen Ansätzen miteinander zu vergleichen.
Im Rahmen des Seminars »Das Rohmaterial der (Film)geschichte. Eine Einführung in die medienhistorische Quellenkunde« bietet die Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF und dessen Veranstaltungspartner beiden Restaurierungsteams eine Plattform, ihre unterschiedlichen, jedoch komplementären Arbeiten an DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM zu präsentieren und näher zu erläutern: Am 24. Januar 2019 begrüßen wir Stefan Drößler, Leiter des Filmmuseums München, und Richard Siedhoff im Filmmuseum Potsdam. In seinem Vortrag »Auf der Suche nach dem Golem« wird Stefan Drößler ab 13 Uhr Einblick in die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte des Films sowie in die jahrelange Arbeit des Filmmuseums an seiner Restaurierung geben. Ab 15 Uhr führt Richard Siedhoff in das Thema der Stummfilmmusik ein, stellt den weitgehend unbekannten Komponisten Hans Landsberger vor und berichtet von der aufwändigen Arbeit an der Rekonstruktion und Neuorchestrierung der Originalmusik zu DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM. Eine Woche später, am 31. Januar, ist Anke Wilkening, Restauratorin bei der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, in Potsdam zu Gast und stellt um 13 Uhr im ZeM ihre Arbeit am Film vor.
Beide Restaurierungen von DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM werden auch auf der Kinoleinwand zu sehen sein: Anschließend an die Vorträge am 24. Januar wird um 19:30 Uhr erstmals die in Arbeit befindliche Restaurierung des Filmmuseums München als »Work in Progress« im Kino des Filmmuseums Potsdam öffentlich vorgeführt. Für die musikalische Begleitung zur Filmvorführung sorgt Richard Siedhoff, der am Klavier die wiederentdeckte Originalmusik von Hans Landsberger live interpretieren wird. Als Begleitfilm wird eine 2017 vom Filmmuseum München erstellte Rekonstruktion vom ersten GOLEM-Film Paul Wegeners gezeigt, die die erhaltenen Filmfragmente mit Schrifttafeln und Standbildern kombiniert, um die lückenhafte Handlung zu vervollständigen.
Dank der Kooperation mit der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen findet als Erweiterung der Potsdamer Veranstaltungen eine Vorführung der von der Murnau-Stiftung in 4K-Auflösung restaurierten Fassung von DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM am 28. Januar um 19 Uhr im Kino Arsenal in Berlin statt.
Der Eintritt zu den Vorträgen am 24. und 31. Januar ist frei. Aus organisatorischen Gründen wird zu beiden Veranstaltungen eine Voranmeldung unter erbeten.
Für die Vorführungen gelten die regulären Eintrittspreise des Filmmuseums Potsdam bzw. des Arsenals.
Eine Veranstaltung des Masterstudiengangs Filmkulturerbe der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF in Kooperation mit dem Filmmuseum Potsdam, der Deutschen Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen und dem Brandenburgischen Zentrum für Medienwissenschaften – ZeM.
Zum Andenken an den Filmkritiker, -historiker und Pionier der Filmrestaurierung in Deutschland, Enno Patalas, der am 7. August 2018 in Alter von 89 Jahren verstarb. Als Leiter des Filmmuseums München von 1973 bis 1994 zeichnete Patalas für zahlreiche wegweisende Restaurierungen deutscher Stummfilme verantwortlich, darunter DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM.
ORGANISATION
Oliver Hanley (Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF)